Eva Judd O’Meara: Eine Musikbibliothekarin in einem neuen Beruf
Richard Boursy
Thursday, July 13, 2017
Unsere Reihe RISM A-Z erreicht heute den Buchstaben O und führt uns zu Eva Judd O‘Meara. O‘Meara ist die erste Musikbibliothekarin, die wir in unserer Reihe vorstellen. Richard Boursy, Archivar an der Gilmore Music Library (Yale University), berichtet uns vom Leben und Wirken einer Frau, die bemerkenswert oft mit dem Attribut „zum ersten Mal“ verbunden ist: Sie war erste Musikbibliothekarin an der Yale University, eine der Gründerinnen der MLA und erste Herausgeberin der Zeitschrift Notes.
Eva Judd O’Meara (1884-1979) nahm nicht den gewöhnlichen Weg einer Musikbibliothekarin. Sie hatte keine musikalische Ausbildung, hatte keinen College-Abschluss und wurde eher zufällig Musikbibliothekarin. Allerdings war sie nicht einfach zur rechten Zeit am rechten Ort: Ihre Geistesschärfe, unermüdliche Arbeit und außergewöhnlichen organisatorischen Fähigkeiten ermöglichten ihr, eine der größten Musikbibliotheken aufzubauen und zu einer zentralen Figur in einem neuen Beruf zu werden.
Geboren im kleinen Städtchen Seymour (Connecticut) arbeitete O‘Meara in den öffentlichen Bibliotheken ihrer Heimatstadt und im benachbarten Derby. 1908 zog sie nach Montreal um, wo sie zunächst an der McGill University arbeitete, anschließend in der Privatbibliothek eines Dekans der Universität. Nach sechs Jahren in Kanada kehrte O‘Meara in die USA zurück und erhielt eine Stelle als Katalogisiererin an der Yale University.
Genau vor 100 Jahren, also 1917, bekam die School of Music in Yale ein neues Zuhause. Die Sprague Hall bot auch Raum für eine Bibliothek. Während ihrer Arbeit als Katalogisiererin hatte O‘Meara bereits mit Musikalien zu tun und so übertrug man ihr die Aufgabe die Musikbibliothek aufzubauen. Ursprünglich war geplant, dass die Leitung Bibliothek gänzlich in der Hand von Studenten liegen sollte. Es stellte sich aber schnell heraus, dass dies ziemlich unrealistisch war und so übernahm O‘Meara die Betreuung in ihrer Freizeit. 1924 erhielt sie schließlich eine Vollzeitstelle an der Musikbibliothek.
Yales neue Musikbibliothek vereinigte drei Musiksammlungen, die zuvor getrennt waren: Die Bibliothek der School of Music (die einen relativ kleinen Bestand hatte und für praktischen Gebrauch gedacht war), Musikmaterialien aus der Universitätsbibliothek (inklusive der Gesamtausgaben) und die Lowell Mason Library. Letztere ist von besonderem Interesse für RISM-Nutzer. Mason (1792-1872) gab viel Geld für die Anschaffung von Musikalien aus und seine Bibliothek umfasste möglicherweise mehr als 10.000 Musikhandschriften sowie seltene Drucke. Nach seinem Tod überließ seine Familie die Sammlung der Yale University. Ein Schwerpunkt der Sammlung war deutsche Barockmusik, da er die Sammlung von J. C. H. Rinck (1770-1846) erwarb.
In enger Zusammenarbeit mit der Fakultät erkannte O‘Meara Lücken in den Beständen der Musikbibliothek und füllte diese auf. Außerdem erweiterte sie die Spezialsammlungen mit wichtigen Neuanschaffungen. Mit dem Erwerb der Horatio Parker (1863-1919) papers hdl.handle.net/10079/fa/music.mss.0032 bereitete Sie den Weg für das Bibliotheks-Programm der Archiv-Sammlung. Ihre bedeutendste Erwerbung war das Clavier-Büchlein vor Wilhelm Friedemann Bach, das Johann Sebastian Bach für die Ausbildung seines Sohnes zusammengestellt hatte.
1931 hielt die American Library Association ihre Konferenz in New Haven ab. O‘Meara und einige ihrer Kolleginnen und Kollegen aus anderen Institutionen kamen zusammen, um die Music Library Association zu gründen. 1934 wurde sie die erste Herausgeberin der neuen MLA-Zeitschrift Notes. Später hatte sie den Vorsitz des Komitees, das die Katalogisierungs-Richtlinien der ALA für Musik erstellte.
O‘Meara leitete einen der ersten Kurse für Musikbibliographie und veröffentlichte zahlreiche Artikel zu Bibliotheks-Themen. Ihr Schreibstil war immer graziös und gebildet, manchmal launig.
O‘Meara ging offiziell 1952 in Ruhestand, aber arbeitete noch ein Viertel-Jahrhundert an Bibliotheksprojekten. So sah man sie auch mit über neunzig Jahren jeden Tag mit einer tragbaren Schreibmaschine auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Drei Wochen vor ihrem Tod 1979 sprach sie auf einem Verbandstreffen der MLA über die Erinnerungen an die Gründung der MLA und den Erwerb des Clavier-Büchleins. Unter O‘Mearas Unterlagen befindet sich auch eine Kasettenaufnahme dieses Vortrags.
Ungeachtet des Fehlens einer formalen Ausbildung erntete O‘Meara Respekt und Anerkennung von denen, die sie kannten - selbst von renommierten Professoren wie Paul Hindemith und Ralph Kirkpatrick, die beide nicht leicht zu beeindrucken waren. 1965 erhielt O‘Meara von der MLA eine Auszeichnung und wurde zum Ehrenmitglied ernannt. Der Preis für die beste Rezension in Notes wurde nach ihr benannt. Yale ehrte sie 1975 mit der Friends of Music-Medaille und eine Stiftung, die in ihrem Namen gegründet wurde, unterstützt noch immer die heutige Irving S. Gilmore Music Library.
Fotografie von O’Meara mit freundlicher Genehmigung derIrving S. Gilmore Music Library, Yale University
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