Ein Konzert für den „Posaunengott“ – Ferdinand Davids Concertino op. 4 endlich im Henle-Urtext

Dominik Rahmer

Monday, January 31, 2022

Ein Beitrag von Dominik Rahmer, der zuerst im Henle-Blog erschien und hier mit freundlicher Genehmigung in leicht gekürzter Form wiederabgedruckt wird.

Die Posaune ist ein Instrument mit einer altehrwürdigen, aber auch wechselvollen Geschichte. Nach ihrer ersten großen Blütezeit in Renaissance und Frühbarock führte sie im späten 17. und im 18. Jahrhundert lange ein Nischendasein, und erst Beethoven verdanken wir ihre „Wiedereingliederung“ ins Symphonieorchester, aus dem sie seither nicht mehr wegzudenken ist (vgl. diesen Blogbeitrag zum Beethoven-Jahr 2020). Als veritables Soloinstrument kam die Posaune aber erst im 20. Jahrhundert richtig zur Geltung – vor allem im Jazz wurden ihre vielfältigen Klangfarben und Spieltechniken geschätz.

Abbildung, oben: Ferdinand David (1810–1873). Lithographie von J. G. Weinhold, Leipzig, 1846

Das klassisch-romantische Solorepertoire für Posaune ist hingegen bedauerlich klein. Einen der wenigen Lichtblicke bietet hier Ferdinand Davids Concertino Es-dur op. 4 für Posaune und Orchester. Dieses bezaubernde Konzertstück, komponiert 1837 in Leipzig in bester „mendelssohnischer“ Schreibweise, zählt heute zu den weltweit meistgespielten Posaunenkompositionen und ist zum unverzichtbaren Standardwerk für Probespiele und Wettbewerbe geworden.

Wie leider häufig der Fall, steht die Beliebtheit dieses Werkes in krassem Gegensatz zur Qualität und Zuverlässigkeit der bisher verfügbaren Ausgaben. Uns ist keine moderne Edition bekannt, in der die Solostimme nicht vom jeweiligen Herausgeber mehr oder weniger stark „eingerichtet“ wurde: mit zusätzlichen Angaben zu Artikulation und Dynamik, ergänzten Ausdrucksanweisungen, Änderungen von Rhythmus und Tonhöhen oder sogar von ganzen Tonpassagen; wohlgemerkt alles ohne Kennzeichnung als freie Herausgeberzutat. Hier ein kleiner Eindruck am Beispiel der letzten Takte vor Beginn des langsamen Satzes – zum Vergleich zeigen wir auch die Originalfassung der 1838 erschienenen Erstausgabe, die von Ferdinand David autorisiert wurde; die auffälligsten Abweichungen davon sind gelb markiert:

Erstausgabe Kistner 1838, T. 118 bis Ende Satz I.

Ausgabe J.H. Zimmermann, Hrsg. Robert Müller.

Ausgabe IMC, Hrsg. William Gibson.

Ausgabe A.E. Fischer/A. Benjamin, Hrsg. Fritz Grube.

Ausgabe Fr. Hofmeister, Hrsg. unbekannt.

Im G. Henle Verlag ist nun eine Neuausgabe erschienen, die sich zum Ziel gesetzt hat, den David’schen Urtext wieder freizulegen. Herausgeber dieser kritischen Edition ist Sebastian Krause, Soloposaunist des MDR-Sinfonieorchesters in Leipzig, Hochschuldozent und Spezialist für die Geschichte der Posaune insbesondere im mitteldeutschen Raum. Sebastian Krause verfügt nicht nur über jahrzehntelange spielpraktische und künstlerische Erfahrungen mit dem David-Concertino, er hat auch einen grundlegenden Beitrag zur Erforschung seiner Entstehungsgeschichte geleistet, insbesondere zur Biographie des ersten Interpreten und mutmaßlichen Auftraggebers, des Posaunisten Carl Traugott Queisser (1800–1846).

Queisser war Solobratschist am Gewandhausorchester in Leipzig, zugleich aber auch ein Posaunenvirtuose von internationalem Rang. Er genoss seinerzeit ein so hohes Ansehen in Deutschland und darüber hinaus, dass er auf Konzertankündigungen gleichrangig mit Künstlern wie Franz Liszt oder Ignaz Moscheles genannt wurde. Robert Schumann bezeichnete Queisser in einem Artikel zum Leipziger Orchesterleben gar als „Posaunengott“…! (Neue Zeitschrift für Musik, 6. Dezember 1836, S. 185)

Das Posaunenmodell Leipziger Bauart, wie es Queisser vermutlich spielte: Weitmensurierte Tenorbass-Posaune von Christian Friedrich Sattler, 1841. Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig. (Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA)

Queisser war eng befreundet mit dem Konzertmeister des Gewandhausorchesters – kein anderer als ebenjener Ferdinand David, seinerzeit einer der berühmtesten Geigenvirtuosen Deutschlands (für ihn komponierte Felix Mendelssohn Bartholdy sein Violinkonzert). David war auch als Komponist tätig und schrieb seinem Freund das Posaunen-Concertino sozusagen auf den Leib (zu weiteren Details der Entstehungsgeschichte siehe das Vorwort von Sebastian Krause).

Leider ist das Partiturautograph des Concertinos verschollen, so dass als Hauptquelle der Neuedition die oben erwähnte Erstausgabe diente, die 1838 bei Carl Friedrich Kistner in Leipzig erschien. Sie ist grundsätzlich eine verlässliche Quelle und gibt zweifellos Davids Intentionen wieder. Die Solostimme weist aber einige Stichfehler und Ungenauigkeiten auf, die zu bereinigen waren.

Originales Schallstück einer Tenorposaune von C. F. Sattler, ca. 1840er-Jahre. Privatbesitz Sebastian Krause

Hierbei kam ein glücklicher Umstand zu Hilfe: Ferdinand David erstellte nämlich 1838 auch ein Arrangement des Posaunen-Concertinos für Violoncello und Klavier, sicher in der Absicht, das Werk einem breiteren Musikerkreis zugänglich zu machen. Diese eigenhändige Bearbeitung veröffentlichte David ebenfalls 1838 bei Kistner, und im Zuge der Edition konnten der Herausgeber und der G. Henle Verlag nicht nur ein Exemplar der sehr seltenen Druckausgabe aufspüren, sondern sogar das Autograph dazu: Es befindet sich heute in der Bibliothek der Northwestern University in Evanston, Illinois, und wurde unseres Wissens bisher noch nicht wissenschaftlich ausgewertet.

Natürlich weicht die Solostimme der Cellofassung durch die streichergemäße Einrichtung in vielen kleinen Details vom Original ab: unterschiedliche Bogensetzung, teilweise andere Akkordbrechungen und Figurationen, Verwendung von Doppelgriffen u. v. m. Zudem transponierte David das Stück einen Halbton nach unten, in die für das Cello besser liegende Tonart D-dur. Dennoch gibt dieses Arrangement oft hilfreiche Hinweise und Bestätigungen zu Stichfehlern in der ursprünglichen Posaunenfassung. Ein Beispiel hierzu:

In Takt 121 steht in der Posaunenstimme kein Vorzeichen vor dem as (was nicht so recht zur Harmonie in der Orchesterbegleitung passt), und gleich im folgenden Takt wirkt das Repetieren der Note des1 musikalisch merkwürdig:

Die Cellofassung bestätigt die Vermutung, dass hier ein Auflösezeichen bzw. ein Haltebogen zu ergänzen sind:

Weitere Flüchtigkeitsfehler der Erstausgabe finden sich gelegentlich bei den Artikulationsbezeichungen. Hierzu macht der Herausgeber Sebastian Krause einige behutsame Ergänzungsvorschläge, die in der Edition durch Klammerung stets eindeutig gekennzeichnet sind. Ein Beispiel: vergleicht man T. 315–317 mit den analogen Takten in der Exposition (T. 111–113), so fehlen in der Reprise einige Angaben wie die Crescendo-Gabel oder manche Akzente sicher nur versehentlich in der Erstausgabe, so dass sie in der Edition geklammert hinzugefügt wurden:

Ziel der neuen Urtext-Ausgabe des G. Henle Verlags ist es, den Musikern auf diese Weise endlich einen gesicherten Notentext als Grundlage für möglichst authentische Interpretationen im Sinne des Komponisten anzubieten. „Zurück zu den Quellen“ lautet das Motto, und die RISM-Datenbank ist hierfür ein unverzichtbares Hilfsmittel.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Kategorie: Neuerscheinungen


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