Liedertisch
Helmut Lauterwasser
Tuesday, October 22, 2013
Wie vielfältig Musiküberlieferung sein kann, zeigt eine außergewöhnliche Musikquelle im königlichen Schloss in Berchtesgaden, die jetzt in der RISM-Datenbank nachgewiesen ist (RISM no. 450113059). Es handelt sich um einen Liedertisch mit einer geätzten Steinplatte in einem Rahmen aus Holz. Der fast vollständige Notentext der zweiteiligen Motette „Solve jubente Deo“ zu 6 Stimmen von Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525-1594) bildet den äußeren Rahmen der reich verzierten und ursprünglich auch kolorierten Steinätzarbeit, so dass man die Motette singen könnte, wenn man sich um den Tisch gruppiert. Allerdings ist der Bassus am Schluss aus Platzgründen etwas gekürzt. Hergestellt wurde dieses aufwändige Kunstwerk im Jahr 1591 von dem Steinätzer Caspar von der Sitt, der unter anderem in Amberg und Passau tätig war. Am äußersten Rand der Steinplatte, am Ende des ersten Teils der „Sexta Vox“, einer zweiten Altstimme, hat sich der Meister selbst verewigt (s. Abbildung): „Caspar Von der Sitt derZeit Burger Zu Passau verfertiget 1591.“
Von Caspar von der Sitt sind insgesamt sechs recht ähnlich gestaltete Steinplatten, entstanden in den Jahren 1590 bis 1599, mit eingeätzten Noten bekannt, auf denen jedoch jedes Mal ein anderes Werk der zeitgenössischen Vokalmusik überliefert ist. Der Berchtesgadener Tisch ist Herzog Wilhelm V. von Bayern, oft auch Wilhelm der Fromme genannt, gewidmet. In seinem Zentrum ist das herzoglich bayerische Wappen abgebildet, etwas weiter außen, ringförmig angeordnet, die Wappen von 34 Städten. Innerhalb des Wappenkranzes ist auf einem ebenfalls ringförmigen Band die folgende Widmung zu lesen: „Dem Durchleüchtigen Hochgebornen Fürsten vnd herrn, Herrn Wilhelmen, Pfaltzgrafen bey Rhein, Hertzog in Nidern und obern Bayern etc., Ist diese Rundtaffeln, darauff ihrer Fl.Gn: sampt derselben Fürstentumb, 34. Stätt Wappen, auch 144. Teütsche Vers, vnd schone Geistliche Gesang, zu ehren gemacht, im Jar 1591.“
Übrigens kann der Liedertisch bei der Teilnahme an einer Führung im Berchtesgadner Schloss jederzeit besichtigt werden.
Literatur: Bertha Antonia Wallner: Musikalische Denkmäler der Steinätzkunst des 16. und 17. Jahrhunderts nebst Beiträgen zur Musikpflege dieser Zeit, München 1912, S.154-338
Bildnachweis: Wittelsbacher Ausgleichfonds, München
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