Mikrofilme? Mikrofilme! 70 Jahre Deutsches Musikgeschichtliches Archiv
Carola Finkel
Thursday, November 14, 2024
Am 1. Oktober 1954 legte ein freier Zusammenschluss namhafter Musikwissenschaftler und Musikbibliothekare – die Musikgeschichtliche Kommission den Grundstein für das Deutsche Musikgeschichtliche Archiv (DMgA), das seit seiner Gründung in Kassel angesiedelt ist. Die Hauptaufgabe bestand damals darin, einen Überblick über die durch den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen veränderte Quellensituation zur deutschen Musikgeschichte zu bekommen sowie für die wiederbeginnende musikgeschichtliche Forschung besonders wichtige Handschriften und Drucke auf Mikrofilm zugänglich zu machen. Der Gedanke einer Quellensicherung stand überraschenderweise erst an dritter Stelle.
In den letzten 70 Jahren wurden ca. 36.500 Mikrofilme und Mikrofiches mit Quellen (Musikalien und theoretische Schriften) vor allem zur deutschen Musikgeschichte des späten 15. bis frühen 19. Jahrhunderts aus mehr als 500 Bibliotheken und Archiven in aller Welt zusammengetragen. Das DMgA ist somit eine Meta-Musikbibliothek, denn eigene originale Handschriften und Drucke besitzt es nicht. Das Archiv verfügt zudem über eine Sammlung von knapp 2.100 Portraits. Sie umfasst Originalfotografien von Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, Sängerinnen und Sängern, Dirigenten und Komponisten der Zeit zwischen etwa 1860 und 1920. Weiterhin enthält die Sammlung Schattenrisse, Karikaturen, Titelkupfer und porträtierende Stiche des 17. bis 19. Jahrhunderts.
Portraitsammlung, © DMgA
Seit Sommer 2024 besteht zwischen RISM und dem DMgA eine Kooperation, im Rahmen derer das Archiv bestehende RISM-Einträge zu Sammel- und Einzeldrucken revidiert oder ergänzt bzw. bislang unbekannte Drucke neu in die Datenbank einpflegt. Im Gegenzug wird in den Exemplareinträgen auf die Mikrofilme im DMgA verwiesen.
Alle Quellen im DMgA liegen auf Mikrofilmen bzw. Mikrofiches vor. Auch im digitalen Zeitalter spricht vieles für das analoge Speichermedium, denn digitale Datenformate sind nach wie vor empfindlich und kurzlebig. Aufgrund der schnellen technischen Weiterentwicklung können sie schon innerhalb von wenigen Jahren nicht mehr lesbar sein. Auch sind sie vor Datenverlust nicht gefeit, weshalb sie ständig auf neue Datenträger umkopiert werden müssen – aufgrund des hohen Ressourcenverbrauchs wenig nachhaltig und kostenintensiv. Mikrofilme sind hingegen von Hard- und Software unabhängig, denn zum Lesen genügt schon ein Vergrößerungsglas. Bei sachgemäßer Lagerung geht man nach heutigem Stand zudem von einer Haltbarkeit von etwa 500 Jahren aus, was nur von Pergament und Keilschrifttexten übertroffen wird. Im Hinblick auf Kosten, Sicherheit und Beständigkeit gelten sie somit auch heute als Langzeitspeichermedium als konkurrenzlos, weshalb Mikrofilme auch bei der Bundessicherungsverfilmung eingesetzt werden.
Auch im Zeitalter der Digitalisierung ist eine Konsultation der Mikrofilme des Deutschen Musikgeschichtlichen Archivs in mehrfacher Hinsicht lohnenswert. Dadurch, dass Bestände aus über 500 Bibliotheken und Archiven vorliegen, können etwa Stimmbuchsätze, die heute auf mehrere Standorte verteilt sind, hier wiedervereint eingesehen werden. Da im Archiv auch häufig von einer Komposition mehrere Druckausgaben und Handschriften vorhanden sind, können problemlos Lesartenvergleiche durchgeführt und Beziehungen der Quellen untereinander untersucht werden. Das DMgA hat nicht nur Bestände großer Bibliotheken, sondern auch zahlreiche kleine und schwer zugängliche Sammlungen, die häufig in Privatbesitz sind. Hierbei handelt es sich um Bestände in Schlössern und Klöstern, Gymnasien oder Pfarrarchiven. Oftmals konnten diese Quellen erst durch die vollständige Verfilmung und Katalogisierung, die vom Archiv durchgeführt wurde, für die Nutzung erschlossen und zugänglich gemacht werden. Von großer Bedeutung für die musikalische Forschung und Praxis ist der Umstand, dass das DMgA im Besitz mehrerer Verfilmungen von Musikhandschriften und -drucken ist, die im Original heute entweder verschollen sind oder deren jetziger Zustand keine Einsichtnahme oder Digitalisierung erlaubt. Diese Mikrofilme sind somit die einzige Möglichkeit, die Quellen zu studieren und gehören deshalb zu den musikalischen Schätzen des Kasseler Archivs.
Abbildung oben: Mikrofilme, © DMgA
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