Vielfalt in RISM
Monday, October 26, 2020
Das Musikbuch der versklavten Maria Antonia Palacios, ca. 1790
Im RISM Online-Katalog finden sich über 138.000 Personen: nicht alle Komponisten oder Musiker, die jemals gelebt haben, sondern nur diejenigen, die mit einer musikalischen Quelle in Verbindung stehen.
Zu jeder Person werden biografische Informationen in einem separaten Datensatz aufgezeichnet, damit wir die Person eindeutig identifizieren und mögliche Verwechslungen, wie z.B. bei zwei Komponisten mit dem gleichen Namen, vermeiden können. Zu den Informationen, die wir kodieren, gehören Geschlecht, Nationalität, Orte und Funktionen. Diese Aspekte sind alle im RISM-Katalog suchbar (Details hier), so dass Sie z.B. alle Komponistinnen in RISM finden können.
Ein Aspekt, der jedoch nicht kodiert ist, ist die ethnische Zugehörigkeit. Obwohl diese Praxis mit den Katalogisierungsregeln in Bibliotheken auf der ganzen Welt übereinstimmt, erschwert diese Auslassung RISM-Nutzern die Suche nach Musik von Komponisten aus bestimmten ethnischen Gruppen, die in den heutigen Konzertprogrammen unterrepräsentiert sind.
Glücklicherweise stehen verschiedene Ressourcen zur Verfügung, mit denen sich geeignete Musik für diesen Zweck leicht identifizieren lässt. Wir haben uns Music by Black Composers, die Works Diversity Database des Institute for Composer Diversity, die Inclusive Early Music Bibliographie, die Resources for Diversity in Early Music Repertoire von Early Music America und unsere eigenen Materialien angeschaut, um Personen zu identifizieren, zu denen Quellen in RISM nachgewiesen sind.
In chronologischer Reihenfolge:
Vicente Lusitano (ca. 1522 - nach 1561) war ein portugiesischer Komponist und Musiktheoretiker, der in Quellen des 18. Jahrhunderts als Mestize bezeichnet wurde. RISM führt nur sein Motettenbuch auf (RISM ID no. 990038714), von dem sich das einzige Exemplar in München befindet und online eingesehen werden kann.
Ignatius Sancho (1729-1780) stammte aus Westafrika und wurde in die Sklaverei geboren, dann als Kind von Südamerika nach England verschleppt. Dort erlangte er Ruhm als Schriftsteller und Komponist. Seine bekannten gedruckten Werke sind Twelve country dances, A collection of new songs und zwei Bücher mit Tänzen. Die Sammlung mit Liedern war zuvor in RISM anonym überliefert. Die beiden Bücher mit Tänzen, die sich im Besitz der British Library befinden, erscheinen mit dem November-Update in RISM (RISM ID no. 1001132704 und 1001132705).
Domingos Caldas Barbosa (ca. 1739-1800) war ein Komponist, Dichter und Schriftsteller, der in Rio de Janeiro geboren wurde und in Lissabon starb. Sein Vater war Portugiese und seine Mutter eine versklavte Frau aus Angola. Alle Manuskripte in RISM von Barbosa werden in der portugiesischen Nationalbibliothek aufbewahrt und sind Modinhas, eine Art Volkslied, für die der Komponist berühmt wurde.
Joseph Bologne de Saint-Georges (1745-1799): Bolognes Vater war ein französischer Anbauer in Guadeloupe und seine Mutter war eine afrikanische Sklavin. Er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich und war ein produktiver Komponist. Die RISM-Datenbank enthält 90 Quellen von ihm, die in Bibliotheken in ganz Europa, Russland und den Vereinigten Staaten aufbewahrt werden.
Maria Antonia Palacios : Die afrikanischstämmige Palacios war in einem chilenischen Haushalt als Sklavin für die Musik zuständig. Zu diesem Zweck kopierte sie das “Libro Sesto” (ca. 1790; siehe Abbildung). Siehe unseren Artikel zu diesem Manuskript “El Libro Sesto” - Eine Musikhandschrift als Zeugnis zur Kolonialgeschichte in Chile.
Francis Johnson (1792-1844) wurde wahrscheinlich auf Martinique geboren, machte aber Karriere in den Vereinigten Staaten. Er war Komponist, wurde aber als Kapellmeister berühmt. Obwohl er über 300 Werke komponierte (einige befinden sich in der Lester S. Levy Sheet Music Collection), kennt RISM nur seinen “Colonel Child’s March”.
Die Familie Lambert war musikalisch begabt, darunter Charles-Lucien Lambert (1828-1896), ein Afroamerikaner, und sein Sohn Lucien Léon Guillaume Lambert (1858-1945), der in Frankreich geboren wurde, nachdem die Familie dorthin ausgewandert war. Der Sohn ist bei zwei Werken in RISM als Komponist aufgeführt, ein Vokalstück und ein Klavierwerk, aber auch der Vater wird als möglicher Komponist in Querverweisen genannt. Viele weitere ihrer Werke sind im Katalog der französischen Nationalbibliothek zu finden (Vater, Sohn).
Scott Joplin (ca. 1867-1917), der berühmte afro-amerikanische Komponist, ist vor allem für seine Ragtime-Musik bekannt und kann in zahlreichen Online-Notensammlungen, einschließlich der Levy Collection, gefunden werden. In RISM ist sein “Cascades”-Rag in einer Bearbeitung erwähnt, die vom historischen Orchester des Casino-Theaters in Tongeren, Belgien, verwendet wurde.
Schließlich weisen wir noch auf die Musiksammlung im Archiv des Sorbischen Instituts (D-BAUscb) hin, die die Musik der Sorben, einer der offiziell anerkannten ethnischen Minderheiten in Deutschland, aufbewahrt.
Die obige Liste ist zweifellos unvollständig, und wir würden uns über weitere Namen, die hiermit in Zusammenhang stehen, freuen.
Abbildung: Einband des “Libro Sesto” mit dem Namenszug von Maria Antonia Palacios. Biblioteca Nacional de Chile (RCH-Sbnc) jp/o/20140924 (RISM ID no. 390000001).
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