Musik, Musikwisssenschaft, Bibliotheken: Ein Praktikumsbericht

Anne-Marie Wurster

Wednesday, October 7, 2015

Wir habengerade unsere Praktikantin Anne-Marie Wurster verabschiedet, die uns fünf Wochen hier in der RISM Zentralredaktion in Frankfurt unterstützte. Sie hat die Eindrücke dieser Zeit hier zusammengefasst:

An die Schnittstelle von Musikwissenschaft und Bibliothekswesen – da wollte ich hin. So entstand die Idee, ein Praktikum in der RISM-Zentralredaktion in Frankfurt am Main zu machen. Fünf Wochen lang war ich also im Spätsommer 2015 zu Gast in Frankfurt und habe die verschiedenen Facetten der dortigen Arbeit kennengelernt. Die für Praktikanten zuständige Mitarbeiterin Dr. Martina Falletta hatte ein buntes Programm mit Einblicken in alle Bereiche des RISM für mich zusammengestellt. So konnte ich viele Arbeitsbereiche kennenlernen und nach kurzer Einarbeitung auch selbständig Aufgaben bearbeiten. Unter anderem habe ich Werkverzeichnisnummern, Fundorte und Schreiber in den Datenbanken Kallisto (Handschriften) und Muscat (Serie A/1) ergänzt – Plausibilitätsprüfung und Aktualitätsrecherche inklusive – und neue Literatur in die Datenbank eingegeben. Darüber hinaus bekam ich Rechercheanfragen von Mitarbeitern der Zentralredaktion. So habe ich beispielsweise Literatur zur Identität von Antonio Rosetti zusammengestellt. Auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mithilfe von Facebook, Twitter, Wikipedia sowie der eigenen News-Seite stand auf meinem Programm – was gerade für einen Social Media-Muffel wie mich nicht uninteressant war.

Eine meiner liebsten Aufgaben war es, mithilfe des Plain & Easie Codes Incipits aus Handschriften abzuschreiben und in die Datenbank Kallisto einzupflegen. Hier hatte ich es in erster Linie mit Werken von Georg Philipp Telemann und Johann Erasmus Kindermann zu tun. Die Digitalisate der Werke stammten aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Darüber hinaus hatte ich Einblick in die Pflege der Personen-, Thesaurus- und Bibliothekssigel-Datenbanken. Ein Bibliothekssigel für eine bisher im RISM nicht vertretene spanische Bibliothek durfte ich auch selbst neu vergeben: E-Mrae (Real Academia Española - Biblioteca y Archivo, Madrid).

Martina Falletta ermöglichte mir zudem Besuche in der Bibliothek der Frankfurter Oper und bei Frankfurter Arbeitsstelle der Gluck-Gesamtausgabe, sodass ich meinen Aufenthalt in Frankfurt auch nutzen konnte, um weitere interessante Projekte kennenzulernen.

Ein ganz aktuelles Projekt in der RISM-Zentralredaktion ist die Auswertung der Nutzerumfrage, die im vergangenen Winter/Frühjahr erstellt wurde. Neben der Anfertigung einer Liste mit technischen Verbesserungen für den RISM-OPAC, die von Nutzern in der Umfrage gewünscht wurden, bereiteten wir im Team einen Vortrag über erste Ergebnisse und Veränderungen vor. Dieser wurde von Martina Falletta und Jennifer Ward im Rahmen der AIBM-Jahrestagung am 23. September 2015 in Stuttgart vorgetragen und erhielt dort sehr positive Resonanz.

Die Teilnahme an dieser Fachtagung für Musikbibliothekare aus dem gesamten deutschsprachigen Raum war nicht nur ein Highlight meines Praktikums, sondern bildete auch dessen stimmigen Abschluss. Zuerst stellte sich hier die Stadt Stuttgart mit ihrem reichen Musikleben dar, unter anderem durch Beiträge der Stuttgarter Staatsoper, der Hymnus Chorknaben, das Integrationsprojekt Labyrinth und das Musiklabel TACET. Auch das Studium des Bibliotheks- und Informationsmanagement an der Hochschule der Medien Stuttgart sowie die dortigen Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung im Bereich der Musikbibliotheken wurden vorgestellt. Im abwechslungsreichen Tagungsprogramm waren öffentliche und wissenschaftliche Musikbibliotheken, Musikhochschul-, Rundfunk- und Orchesterbibliotheken vertreten. Mitarbeiter berichteten aus ihrem täglichen Geschehen und stellten beispielsweise Ansätze zur Inklusion von Blinden und Senioren in den Bibliotheksbetrieb vor.

Im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken wurden vor allem Digitalisierungsprojekte vorgestellt, etwa das tiefenerschließende Detmold Hoftheater-Projekt, das Dresdener Digitalisierungsprojekt Hofkirche & Königliche Privat-Musikaliensammlung und das digitale Verzeichnis der deutschsprachigen Liedflugschriften, an dem Bibliotheken aus Berlin, Freiburg und Wien beteiligt sind. Dies ist auch für RISM von Bedeutung, denn hier besteht die Möglichkeit zu fruchtbaren Kooperationen. Das Dresdener Projekt arbeitet bereits mit Kallisto, sodass auch der RISM-OPAC von den vielen neuen Incipits, Personendatensätzen und Schriftproben profitiert. Das Detmolder Projekt nutzt bereits vorhandene RISM-Datensätze für seine Zwecke, erstellt dann aber ein eigenes, viel weiter reichendes Netzwerk, welches auch Gagen, Aufführungsdaten, einzelne Stimmen aus einer Partitur und Ähnliches erfasst. Im weiteren Verlauf ist geplant, die RISM-Daten zu erweitern und zu verfeinern. Eine präzise und detaillierte Katalogisierung schon in der Bibliothek kann das Anwachsen der RISM-Datenbanken beschleunigen und diese inhaltlich verbessern, das wurde mir in dieser Sitzung sehr klar.

Die Tagung schloss ihr öffentliches Programm mit einem intensiven Block zur Umstellung in der Katalogisierung von RAK auf RDA. Neu ist, dass RDA konsequent zwischen der Manifestation, also der physischen Erscheinung eines Titels und dem Werk an sich, also der geistigen Schöpfung an sich unabhängig von einem materiellen Medium unterscheidet. Hinzu kommt die Ebene der Expression, welche Interpreten oder Übersetzer erfasst. Derzeit läuft ein umfangreiches Schulungsprogramm zu RDA durch die Deutsche Nationalbibliothek (DNB). Auch ein spezielles Modul für Musikbibliotheken ist vorhanden. Vor allem die öffentlichen Musikbibliotheken sehen allerdings noch einige Schwierigkeiten, etwa im Hinblick auf die Erfassung musikalischer Gattungsbegriffe. Die DNB versicherte jedoch, dass in den kritisierten Bereichen noch nachgebessert wird. Die DNB selbst wird ab dem 1.Oktober 2015 ausschließlich nach RDA katalogisieren.

In den Pausen und bei einem Empfang bestand außerdem auch die Gelegenheit, mit Menschen aus den unterschiedlichsten Bibliotheken und Fachbereichen ins Gespräch zu kommen. Die angenehme, offene Atmosphäre hat mich hier sehr positiv überrascht und ich konnte einige interessante Kontakte knüpfen.

Insgesamt bin ich froh um die Erfahrungen, die ich während meines Praktikums machen konnte. Ich habe Komponisten und Werke kennengelernt, die mir zuvor gänzlich unbekannt waren und es war spannend zu sehen, wie die Arbeit eines weltweit vernetzten Projektes vorangeht. Ich habe mich ausgiebig mit der Katalogisierung der Musikalien und deren Erfassung in einer Datenbank beschäftigt und nebenbei viele interessante Menschen kennengelernt. Außerdem habe ich gesehen, dass es für viele Bereiche sehr sinnvoll ist, sowohl eine musikwissenschaftliche als auch eine bibliothekarische Ausbildung zu haben. Beide Bereiche lassen sich hervorragend kombinieren und eröffnen vielseitige berufliche Möglichkeiten.

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