Zum 100. Todestag von Debussy
Thursday, March 22, 2018
Diesen Beitrag schrieb Ulrike Schädel, unsere Praktikantin des Wintersemesters 2017/18:
Am 25. März jährt sich Debussys 100. Todestag. 1862 in einem kleinen französischen Dorf geboren starb er mit 56 Jahren 1918 in Paris. Ein Blick in die RISM-Datenbank offenbart die düstere Seite Debussys in seinen letzten Lebensjahren und liefert einen Hinweis auf seine Oper La chute de la maison Usher. Es handelt sich hierbei um sechs Skizzen einer Partitur, die als Autograph aus den Jahren 1908 bis 1918 in der Londoner British Library aufbewahrt wird.
Edgar Allen Poes Kurzgeschichte Der Untergang des Hauses Usher inspirierte Debussy bereits um 1890, also mit 28 genau in der Mitte seines Lebens. Anlaß war eine französische Übersetzung Baudelaires, die er gelesen hatte. Das er in diesem Lebensabschnitt zugleich über Fragen um die Grenzlinie zwischen Leben und Tod, den Wahnsinn und damit verbundenen Rätseln des Menschseins nachdachte, belegen handschriftliche Dokumente.
Debussy plante ursprünglich, den Stoff der Geschichte als Symphonie zu komponieren: Ein einsam gelegenes marodes englisches Herrenhaus, in dem Roderick Usher, der letzte männliche Nachkomme seiner Familie, in einer angedeutet inzestuösen Beziehung zu seiner Schwester Madeleine lebt. Zusammen mit einem Arzt, einer finsteren Gestalt, der die Schwester ebenfalls begehrt. Madeleine leidet an einer Krankheit und wird irrtümlich scheintod in der Familiengruft beerdigt. Während eines aufziehenden Sturms, bei dem das alte Haus endgültig in sich zusammenfällt, erscheint sie Roderick um ihn mit in den Tod zu nehmen.
1908 - zehn Jahre vor seinem Tod, entscheidet sich Debussy, das Projekt wieder aufzunehmen und die Geschichte in einer Oper zu verarbeiten. Er, der das Ambiente der Opernhäuser mied, unterzeichnete sogar einen Vertrag mit der Metropolitan Opera (New York City), der die Uraufführungsrechte für die Premiere der Oper garantieren sollte.
In einem Brief an seinen Freund Jacques Durand schildert er: “In diesen Tagen arbeite ich hart an Der Fall des Hauses Usher… Es gibt dabei Momente, da verliere ich die Realität um mich herum und würde mich nicht wundern, wenn die Schwester von Roderick Usher zur Tür reinkommen würde.“ Sein Alterswerk geht ihm nur schwer und mühsam von der Hand. Zufrieden ist er erst nach dem dritten Libretto. Debussy glaubte anfangs, dass er an einer Art Nervenschwäche litt, doch dann wurde bei ihm Darmkrebs diagnostiziert. Er begann sich mehr und mehr mit der Romanfigur Roderick Usher zu identifizieren, und insbesondere mit dessen mentalem Zusammenbruch beim Einsturz des verfallenen Hauses. An dieser Oper arbeitet Debussy bis kurz vor seinem Tod. Er schreibt 1915: “Ich war dabei - oder fast dabei - La Chute de la Maison Usher zu vollenden: Die Krankheit hat meine Hoffnung ausgelöscht… Ich leide wie ein Verdammter.“ Um 1916 bis 1917 komponierte er einen Entwurf zur Musik des 1. Aktes und zu zwei Bildern des zweiten. Einiges war noch auf Skizzenblättern notiert. Damit beließ er es bis zu seinem Tod 1918. Die Oper blieb unvollendet.
Die Witwe Debussys, Emma Claude verschenkte einzelne vorhandene Skizzen. Der diplomatische Titel in der RISM-Datenbank liefert dazu ein Indiz: “La chute de la Maison Usher. pour Marcelle Meyer ⎜avec tout mes sincère ⎜affections ECD.”
Erst im Jahr 1976, 58 Jahre nach Debussys Tod, recherchierte der chilenische Komponist Juan Allende-Blin systematisch die überall verteilten Skizzenblätter und trug sie zusammen. Anschließend orchestrierte er aus dem vorhandenen Material eine spielbare Fassung in der die unvollendeten Lücken bestehen blieben. In dieser Fassung wurde die Oper 1977 konzertant und 1979 szenisch in Berlin uraufgeführt.
Literatur: Kabisch, Thomas, Art. »Debussy«, in Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2., neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Fischer, Personenteil, Bd. 5, Kassel und Stuttgart 2001, Sp. 566-640.
Orledge, Robert, »Debussy’s ›House of Usher‹ Revisited«, in: The Musical Quarterly, 65/4 (1976), S.536-553.
Abbildung: “The House of Usher” von Ciaran Laval, über Flickr (CC BY-NC-SA 2.0).
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