In memoriam Harald Heckmann (6. Dezember 1924 – 5. November 2023)
Thursday, November 16, 2023
Mit Harald Heckmann verliert das Musikarchiv und -dokumentationswesen eine der zu seiner Zeit einflussreichsten Persönlichkeiten. Wir, die mit ihm zusammenarbeiten durften, verlieren einen klugen Mentor und väterlichen Freund.
Geboren als Sohn eines Kunsthistorikers und Lehrers in Dortmund, studierte er in Freiburg im Breisgau unter anderem bei Wilibald Gurlitt Musikwissenschaft. 1952 promovierte er mit einer Arbeit über „Wolfgang Caspar Printz (1641–1717) und seine Rhythmuslehre“. Er war bis 1954 Assistent von Wilibald Gurlitt und Mitarbeiter am Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, und er lehrte an der Musikhochschule Freiburg evangelische Kirchenmusikgeschichte und Hymnologie.
Seine ersten Erfahrungen mit der Arbeit im Musikarchiv machte er bereits nach dem Studium im Freiburger Volksliedarchiv. 1954 ging er nach Kassel, um dort das Deutsche Musikgeschichtliche Archiv (nicht zu verwechseln mit dem Deutschen Musikarchiv der Deutschen Nationalbibliothek) aufzubauen. Dessen Aufgabe war es, ein zentrales Mikrofilmarchiv der deutschen Musikquellen entstehen zu lassen.
Heckmann war wohl Gründungsmitglied der 1950 unter Federführung von Vladimir Fedorov (1901-1979) gegründeten International Association of Music Libraries, Archives and Documentation Centres (IAML), damals nach dem französischen Namen Association Internationale des Bibliothèques Musicales, noch mit AIBM abgekürzt. Von 1959 bis 1974 zunächst deren Generalsekretär, dann bis 1977 Präsident und danach Ehrenpräsidenten der Vereinigung. Schon vorher war er an der Gründung der internationalen Dokumentationsprojekte beteiligt, die unter dem Dach der IAML als R-Projekte firmieren: RILM, RISM und RIdIM. (RIPM kam erst später dazu.)
Seine besondere Sorge galt dem RISM, als dessen Sekretär er seit 1960 und seit 1988 als dessen Präsident fungierte. Es gelang ihm, zusammen mit seinem Freund dem Mozart-Forscher Wolfgang Rehm (1929-2017), dem ursprünglich in Paris ansässigen RISM Sécretariat in Kassel eine weitere Arbeitsstelle, die RISM-Zentralredaktion, an die Seite zu stellen. Diese war zunächst für die Herstellung der Serie A/I, Einzeldrucke bis 1800, zuständig. Erst Anfang der 1980 Jahre wurde ihr auch die Serie A/II: Musikhandschriften 1600 bis 1800 (später ausgeweitet bis 1850 und darüber hinaus) übertragen. Ein Meilenstein war es, als es ihm zusammen mit Wolfgang Rehm gelang, dieses letztere Projekt in die Finanzierung durch die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften unterzubringen. Nach seinem Rückzug 2004 wurde er auch hier Ehrenpräsident.
Ein zentrales Thema seiner beruflichen wie ehrenamtlichen Tätigkeit war die Einführung der EDV in die Musikdokumentation. Er gehörte zu den vielen Managern, die selbst mit diesem Hilfsmittel noch wenig vertraut waren – woher sollte er auch –, jedoch die großen Möglichkeiten, die sich damit verbanden und die uns heute so selbstverständlich erscheinen, verstanden. Ihm und seinen Mitstreitern, vor allen Barry S. Brook (1918-1997), ist zu verdanken, dass die Serie RISM A/II von Anfang an EDV gestützt eingerichtet und eine Veröffentlichung als Buch ausgeschlossen wurde, obwohl man damals eigentlich gar nicht wusste, wie man später die Datenbank würde veröffentlichen können.
Harald Heckmann war trotz seiner Durchsetzungsfähigkeit ein freundlicher, zugewandter Mensch, der in seinem beruflichen wie sozialen Umfeld äußerst beliebt war. Zusammen mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Elisabeth Heckmann, besuchte er gerne Museen und Konzerte. (Übrigens, zusammen mit ihr verfasste er Beschreibungen von musikbezogenen Kunstwerken für RIDIM.) Er organisierte auch selbst Konzerte, nicht nur in seinem Privathaus in Ruppertshain im Taunus, sondern zusammen mit dem Cellisten Georg Mantel auch für die Frankfurter Robert-Schumann-Gesellschaft. Seine weitreichenden Kontakte pflegte er als Rotarier und durch Feste in seinem Haus und Einladungen. Sie waren für RISM hilfreich, nicht nur durch Vermittlung an den Verleger Klaus Saur, in dessen Verlag über 15 Jahre die RISM CD-ROM erschien, sondern zuletzt auch durch die Vermittlung seines eigenen Nachfolgers im Amt des Präsidenten des RISM, des berühmten Bach-Forschers Christoph Wolff.
Harald Heckmanns Leben verdunkelte sich in den letzten Jahren. Als ich ihn zuletzt in seiner Altersresidenz besuchte, erkannte er mich nicht mehr. Im stolzen Alter von 98 Jahren, einen Monat vor seinem 99. Geburtstag, ist er in Königstein im Taunus gestorben. Für seinen kaum zu überschätzenden Beitrag zum Gelingen des RISM können wir nur dankbar sein.
Wir werden sein Andenken in Ehren halten.
Klaus Keil
vormals Leiter der Zentralredaktion des RISM
Kategorie: In memoriam