Jacques Offenbach (1819-1880) an der British Library

Susan Halstead

Monday, October 5, 2015

Heute vor 135 Jahren starb Jacques Offenbach. Aus diesem Anlass übernehmen wir einen Beitrag von Susan Halstead, der erstmals im British Library’s European Studies Blog (CC-BY) veröffentlicht wurde. Der RISM Online-Katalog verzeichnet 125 Werke zu Offenbach.

Ein passendes Gericht für die Götter: 150 Jahre ‘La belle Hélène’ von Offenbach

Als in den 1690ern die Académie Française von der so genannten Querelle des anciens et des modernes zwischen den zwei von Nicolas Boileau und Charles Perrault angeführten Parteien erschüttert wurde, hätte man die Geschichte für einen kurzlebigen Konflikt ohne großen Einfluss auf die Entwicklung der französischer Kultur halten können. In einer Gesellschaft mit einer langen Tradition des Respekts für die klassische Bildung und ihrem Platz innerhalb des Bildungssystems flammte der Konflikt immer wieder auch an den unwahrscheinlichsten Stellen auf - wie auf der Bühne der Pariser Opéra comique.

Bis 1858, als die Beschränkung auf drei Darsteller in den Produktionen aufgehoben wurde, hatte Jacques Offenbach (1819-1860) bereits beträchtlichen Erfolg in dem kleinen Theater (Salle Choiseul) erreicht, das er auf eigene Kosten gepachtet hatte, um seine Truppe (Théâtre des Bouffes-Parisiens) unterzubringen, falls ein Durchbruch an der Opéra Comique nicht gelänge. Seinem Geschmack entsprechend – und nun frei von den früheren Beschränkungen – verpflichtete er 20 Prinzipale und machte Pläne, seine neuestes Werk Orphée aux Enfers (Orpheus in der Unterwelt) zu inszenieren.

Der Erfolg übertraf all seine Hoffnungen, doch nicht aus den erwarteten Gründen. Im Gegensatz zu Monteverdis Orfeo oder Glucks Orfeo ed Euridice präsentiert sich der Held nicht als edle tragische Figur, die in den Hades hinuntersteigt, um seine geliebte Frau zu retten, sondern als lustloser Geigenlehrer, dessen Frau von seinen Trillern und Arpeggien genervt ist, so dass ihre Entführung durch den als Hirten verkleideten König der Unterwelt eine Erleichterung für beide ist. Tatsächlich wurde das Werk von der marmornen Welt der klassischen Altertümlichkeit befreit, so dass es einen wütenden Aufschrei im Journal des débats und Le Figaro gab. Keine Stimme war lauter als die des Kritikers Jules Janin, der Offenbach angeklagte, die von den großen Figuren der Revolution so verehrten strengen Werte der römischen Mythologie zu verspotten. Dahinter verbarg sich aber eine zeitgenössische Vorgabe der Satire – niemand geringes als Kaiser Napoleon III. und sein Hof in der Gestalt des Jupiters (bezeichnet als „Jupin“) mit seinem Gefolge. Die Bekanntheit, wie auch die brillante Musik und das witzige Libretto von Hektor Crémieux, sorgten für enorme Einnahmen. Im April 1860 orderte der Kaiser höchstpersönlich eine Aufführung - und wurde vermutlich nicht enttäuscht, da er noch im selben Jahr dem im Köln geborenen Offenbach die französische Staatsbürgerschaft bewilligte, gefolgt von der Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion im Jahr 1861.

Vom Erfolg inspiriert, griff Offenbach ein weiteres klassisches Thema auf: Die Geschichte der Helena von Troya in La belle Hélène. Die Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy zeigten – wie ihr Vorgänger Crémieux – keinerlei Respekt vor der Vorlage. Mit dem Zensor gerieten sie für ihre Beschreibung des großen Wahrsagers Calchas in Konflikt, die als ein Angriff auf den Klerus betrachtet wurde. Der aufgeblasene und heuchlerische Calchas betrügt im Spiel und das Libretto sah vor, dass er an einer Stelle ins Wasser fallen sollte, doch der Zensor beharrte, diese Respektlosigkeit ginge zu weit. Aber auch Agamemnon, Menelaus und den anderen Helden ergeht es kaum besser; sie erscheinen als Bande lächerlicher Dummköpfe und werden vom „Schäfer“ Paris (‘l’homme à la pomme’) in einer Reihe von Wortspielen vorgeführt.

La belle Hélène

Der Chor begleitet Orests Auftritt, aus Jacques Offenbach, La belle Hélène, autographe Partitur, 1864. Zweig MS 72

Am aufsehenerregendsten ist wohl Orests Auftritt als frühreifer Lebemann, von zwei leichten Mädchen Parthénis und Léoena flankiert, und zum Refrain „Tsing-la-la! Tsing-la-la! Oyé Kephalé, Kephalé oh-la-la!“ tanzend, mit der Absicht seinem Streben nach Vergnügen ungezügelt nachzugeben. Die Rolle wurde von der Sopranistin Léa Silly gesungen, die Offenbach große Kopfschmerzen bereitete. In einer an Mozarts Der Schauspieldirektor, den Offenbach einige Jahre zuvor inszeniert hatte, erinnernden Situation verärgerte sie Hortense Schneider, einem schon lange der Truppe zugehörigen Star. Bei deren Darstellung der Helena stahl Silly ihr die Show, äffte sie nach und tanzte hinter ihrem Rücken Cancan, während Schneider ihre Hauptarie sang. Schneider hat daraufhin wutentbrannt gedroht, nicht nur die Produktion sondern auch Paris zu verlassen.

Schneider

Hortense Schneider als Helen in La belle Hélène, aus Louis Schneider, Offenbach (Paris, 1923) 7896.t.20.

Trotz dieser Strapazen fand die Premiere am 17. Dezember 1864 im Théâtre des Variétés statt, und erfreute Kritiker und Publikum so sehr, dass es die Produktion auf 700 Vorstellungen brachte. Unter den Bewunderern war der berühmte Koch Auguste Escoffier, der ein spezielles Gericht kreierte - Poire Belle Hélène, eine köstliches Dessert von pochierten Birnen, Vanilleeiscreme, Schokoladensoße und kandierten Veilchen. Wie die Oper selbst ist es ein Vergnügen für den Kenner - und sicherlich eines Kaisers würdig.

Susan Halstead, Curator Czech and Slovak

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Category: Library collections


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